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Volkmar Wirth 

 

 

In den Tiefen des Alltags


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15.05.2022

ANARCHIE

Zweimal im Jahr beschert mir die verordnete Zeitumstellung ein heilloses Durcheinander auf meinen Chronometern. Oder anders ausgedrückt: In meinen vier Wänden waltet jeweils im April und Oktober die pure Anarchie.
Trotz propagierter neuester Technik stellt sich so gut wie keine der Uhren und Wetterstationen, die in meiner Wohnung zu Massen verteilt sind, selbstständig. Nach dem pünktlichen Einläuten der Sommer- bzw. der Winterzeit habe ich meist den verbleibenden Sonntag ausreichend mit der Koordinierung der eigensinnigen Zeitmesser und digitalen Wetterfrösche zu tun. Nach einem ausreichenden Frühstück nehme ich die sensiblen Dinger sachte in die Hand und beginne erst wahllos, schließlich konzentriert und mit einer gewissen Systematik die winzigen Knöpfe zu drücken. Hin und wieder erfolgt gegen Mittag ein triumphierendes Piepen oder ein nölendes Hupen und lässt mich für Sekunden hoffen. Und wenn sich am Abend eine Glückssträhne quer über meine hohe Stirn legt, ändert sich auf dem Ziffernblatt sogar die eine oder andere Angabe.

Da die besagten Geräte von unterschiedlichen Herstellern stammen, ist es mir bisher vergönnt geblieben, alle Daten, also Uhrzeit, Zimmer- wie Außentemperatur, Wochentag und Datum zu einer friedlichen Koexistenz zu bewegen. So zeigt die Wetterstation in der Stube seit der letzten Umstellung eisern den Neujahrstag von 2001. Der Wecker, der mich jeden Morgen gnadenlos in die Wirklichkeit zurückholt, gaukelt mir vor, dass in meinem Zimmer 72 Grad herrschen. Und dies mit einer robusten Konsequenz, ob nun das Fenster die ganze Nacht offen stand oder die Heizung (Embargo hin oder her) aufgedreht war. Während der Zeitmesser in der Küche – trotz meiner schlagkräftigen Intervention per Hand – mitten in der Woche anzeigt, dass heute Samstag ist, um sich keine zwei Stunden später launenhaft für den Freitag zu entscheiden.



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