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Volkmar Wirth 

 

 

In den Tiefen des Alltags


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31.10.2022

ZUKUNFT

Früh in der Bahn. Eine junge Mutter schafft den Zustieg gerade noch so. Ziemlich professionell schiebt sie ihren riesigen Kinderwagen hinein. Der Junge, der das Ganze aus seiner Sänfte beobachtet, ist groß genug, um seine Beine zu benutzen.
Beide, Mutter und Sohn, sind so was von blond, dass jeder in der Bahn an seinen letzten Schwedenurlaub denken muss. Sofern man in Schweden war. Der Junge kaut lässig an einem Brötchen, die Mutter tippt abwechselnd auf ihren zwei Handys.

„Mami“, ertönt es immer wieder aus dem Wagen, worauf die Mutter ruft: „Ja, mein Schatz!“
Dann fragt der Junge, wer ihn heute abholt. Und wer ihn morgen in die Kita bringt. Der Knabe scheint ein typischer Vertreter der Rebellen von Fridays for future zu sein, er denkt an später.

Nach einer Weile, in der sich der Junge mit meditativer Gelassenheit seinem Brötchen widmet, meldet er sich zurück: „Mami!“
„Ja, mein Schatz!“, antwortet Mutter, ohne von ihren Handys zu lassen.
Mit Blick auf die vielen Autos, die elegant die Bahn überholen, sagt der Junge: „Wenn ich größer bin, fahren wir nicht mehr mit der Bahn.“
„Sondern?“
„Da bringst du mich mit Papas Audi Sportback zur Schule.“
„Das glaube ich nicht“, sagt die Mutter.
Entsetzt dreht sich der Junge um. „Wieso denn nicht?“
„Weil die Mami bestimmt einen Bentley fährt, wenn mein Schatz zur Schule geht.“



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