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Volkmar Wirth 

 

 

In den Tiefen des Alltags


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09.12.2022

PRÄMIE

Einmal im Jahr lädt mich meine Bankberaterin ein. Wir gehen dann gemeinsam meine Aktien und Wertpapiere durch, mit denen ich spekulieren könnte, hätte ich diese Anlagen im Depot. Schließlich überreicht mir die junge Frau die obligatorische Prämie, die mir als langjähriger Kunde ihres Hauses zusteht. Damit die Bank mit meinem ihnen anvertrauten Geld Geschäften nachgehen kann, von denen ich besser nichts weiß, bezahle ich gern jeden Monat eine fette Gebühr.

Für heute hatte mich die Beraterin wieder eingeladen. Unser Gespräch zog seine altbewährten Bahnen. Wir jonglierten mit Zahlen und süffelten unser zweites Gläschen Prosecco, als endlich der ergreifende Moment der Übergabe anstand.
„Wissen Sie was“, sagte ich, „behalten Sie Ihre Prämie.“
„Aber Herr Wirth“, widersprach die Beraterin nach einem Moment der Schnappatmung.
„Behalten Sie bitte das Geld. Alles wird teurer, auch für Sie und Ihre Kollegen. Und jeden Tag müssen Sie sich mit Kunden abgeben, die nörgeln und die unzufrieden sind.“
„Gott sei Dank sind nicht alle unsere Kunden wie Sie, Herr Wirth“, sagte die Beraterin natürlich nicht.

Ich legte trotzdem eine Pause ein. Auf dass meine Worte die nächste Prämie puschen.
„Bitte behalten Sie die Scheine“, wiederholte ich stolz. „Und gönnen Sie sich mal was Schönes! Machen Sie sich mit Ihrem Mann ein tolles Wochenende. Oder fahren Sie mit Ihrem Freund in die Berge.“



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