flaschenpost-leipzig

Volkmar Wirth 




Keine Bewegung

Es ist früh kurz vor sechs und
ich versuche den gestrigen Tag abzuwerfen.
Vor mir auf einer der weißen Kacheln
hockt ein kleines Tier. Eine Art
Silberfisch. Wie ich so drücke und
gleichzeitig schwitze, gibt das Tier
alles, um vorwärts zu kommen. Nach
zehn Minuten gebe ich auf und
spüle. Auch der Fisch kapituliert und
lässt seine Fühler hängen. Mir
bleibt die Erlösung verwehrt, wie
das Tier festsitzt und sich
keinen Millimeter bewegt.
Vielleicht fühlen wir uns beobachtet.
Männer sollen in dieser Frage
ziemlich eigen sein. Wir grüßen einander
und verschieben unsere Aktion
auf später.
                       April 2024



_____________________________________________________________________________________________________________________



Gute und schlechte Zeiten


1
Als wir noch in der Stadt wohnten,
gingen wir freitags gern zum Griechen.
Wir mochten beide das Zaziki und
den Ouzo. Costa empfing uns
mit großen Gesten und mit
einem kleinen Lächeln.
Fischer hatten ihm gezeigt,
was man mit Beifang macht:
Man befreit es vom Haken und wirft es
zurück ins Wasser. Die Narbe verlief
von Costas linkem Mundwinkel über
die Wange hinauf zum Ohr.

2
Um unsere Ehe zu retten, fuhren wir
überall hin, wo es uns einmal gut ging.
Doch beim Griechen begrüßte uns
die Kellnerin wie Fremde. Der Zaziki
war nur scharf und der Ouzo zu warm.
Seit Tagen regnete es. Ich
hatte nasse Füße und
meine Frau musste telefonieren. Markos
winkte ab, als wir nach seinem Bruder
fragten. Einen Fisch angelt man
auch nicht zweimal, sagte er und
legte die Rechnung auf den Tisch.
                                         März 2024

_______________________________________________________________________________________________________


Heikes Traum

Als ihre Mutter in ihrem Alter war
sprach man über den Vater
nur noch selten. Beim Abendessen
kippte er mit seiner Tasse Tee
in der Hand auf den Tisch und
blieb dort liegen. Wenn ihr Uwe
beim Fernsehen einschläft
senkt sich sein Kopf auch nach vorn.
Manchmal denkt sie dann
wie es wäre, wenn ihr Mann
ab und zu eine Tasse Tee trinken würde.
                                        Februar 2024

_______________________________________________________________________________


Eimer

Vorgestern war der Mülleimer voll,
nichts passte mehr rein. Gestern
kamen ein paar Eierschalen
und der Rest vom Mittagessen dazu.
Heute drückte ich einen Teebeutel und
eine Bananenschale rein und
wunderte mich. Noch immer
ist der Eimer nicht voll,
obwohl er längst voll war.
                                     Januar 2024

_______________________________________________________________________________________________________


Molly

Nach dem ihr die zweite Brust
abgenommen wurde,
kam Molly jeden zweiten Tag
zum Silberpfeil. Sie
tröstete die, die sich
her verirrten und
von nichts wussten: Der
Theo kommt gleich.

Aber der kommt nicht mehr,
Achim hat ihn erstochen.
Bis vor einer Woche
legte Molly frische Blumen
für den Wirt an die Tür. Noch
ist unklar, wer jetzt
für die Blumen und
Teelichter sorgt.
                      November 2023

_________________________________________________________________________________________________________________


Sanierung

Kaum war das Haus eingerüstet,
heulte der Presslufthammer.
Die Ratten wussten um die Gefahr
des Neuen und verschwanden.
Hier konnten sie nicht bleiben.
Früher oder später würde man
ihnen an den Kragen gehen.
Man würde Fallen aufstellen und
giftige Köder auslegen. Das
mussten die Tiere nicht haben. Das
Leben war zu kurz, damit
man ihnen in die Parade fährt.
Allein das Pärchen, das sich
in der ersten Etage eingerichtet hat,
war der Situation nicht gewachsen.
Die Frau schimpfte und der Mann
schwor Rache. Erst als man
ihre Matratzen auf die Straße warf,
zogen auch sie weiter.
                         Oktober 2023


__________________________________________________________________________________________________________________________


Fußbad

1
Keine große Sache, trotzdem
wasche ich meine Füße
in Unschuld. Das
ist mir wichtig
zu betonen. Und
ich bleibe am Ufer,
schwimme nicht raus. Woanders ist´s
auch nass.

2
Zwischen den Zehen
klebt der Schmand
vom Mond. Das waren noch
Zeiten, als wir wild
umher sprangen. Wo
sind die Jahre hin? Gerade
eben bewarfen wir uns
mit Sternen, heute bin ich froh,
wenn mich einer trifft.

3
Ich gieße Wasser nach, natürlich
zu heiß. Meine Haut
rötet sich, ein Spritzer mehr
und ich kann sie abziehen.
Dann fühle ich mich
wie neu geboren. Das
muss ich nicht haben,
also warte ich. Das Zugießen
hat Zeit. Morgen
erst habe ich meinen Termin
auf Station vier. Und
zum Abtrocknen bin ich eh
auf mich gestellt. Der Papst
hat abgesagt. Und
was Jesus angeht,
der hält sich
aus solchen Sachen raus.
                     September 2023