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Volkmar Wirth 

 

 

In den Tiefen des Alltags


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04.06.2023

VERSCHWUNDEN

Während ich nach einem guten Hustensaft frage, erkundigt sich der Mann neben mir nach den Menschen, die nicht mehr da sind. „Wo sind denn nur die vielen Menschen, die vielen, vielen Menschen? Wo sind die? Können Sie mir sagen, wo die Menschen sind? Wo sind die Menschen hin? Fort sind die, fort, fort. Und ich frage mich, wo die jetzt sind. Fragen Sie sich das nicht?“
Der Mann, der inzwischen die Aufmerksamkeit der ganzen Apotheke hat, breitet die Arme aus. Es sollte mich nicht wundern, wenn er jetzt abhebt. Stattdessen sagt er: „Verschwunden sind die Menschen, einfach verschwunden sind die. Verschwunden.“
Die angesprochene Apothekerin schaut ungerührt auf ihren Bildschirm. Vielleicht informiert sie sich, ob ihr Haus was Passendes für den Kunden hat.
„Sie haben nicht zufällig ein Rezept dabei?“, fragt die Frau. Und der Mann beginnt tatsächlich in seinen Taschen zu suchen.
Ich dagegen bezahle meinen Saft und verlasse das Geschäft. Draußen fällt mir auf, dass was anders ist. Hat es geregnet? Gibt es eine Havarie bei den Bahnen? Oder warum ist es so still?
Später im Bus sitzt vorn der Fahrer und ganz hinten schläft eine Frau. Alle anderen Plätze sind leer. Ich fühle mich unwohl. Ohne den Hustensaft angerührt zu haben, ist mir ganz komisch. Wo, frage ich mich, sind die vielen Menschen?



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