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Volkmar Wirth 

 

 

In den Tiefen des Alltags


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22.09.2023

BEERDIGUNG

Das Logo war schon von weitem zu sehen, sogar in der Zeitung warb das Unternehmen seit Wochen mit viel Druckerschwärze. Ich kam gerade vom Mond. Unser Chef hatte zu einer Dienstberatung geladen, die alles andere als friedlich verlief. Es ging um Abbau, Umbau und Überbau. So war ich nicht böse von der jungen Frau angesprochen zu werden. Ob ich mir schon mal Gedanken über meine Beerdigung gemacht hätte.

Ich zuckte zusammen. Machte ich den Eindruck, dass ich das nötig habe? Andererseits: So häufig wie ich über den Tod nachdenke, meine eigene Beerdigung kommt bei diesen Überlegungen viel zu selten vor.

„Nicht, dass Sie denken, es wäre Zeit für Ihre Beerdigung“, umgarnte mich die junge Frau. „Sie wirken wie einer, der noch Jahre bis dahin hat.“
Selbst wenn die Frau log, ich glaubte ihr.

„Früher oder später müssen Sie sich trotzdem mit der einen Frage auseinandersetzen.“
Die Frau hatte recht und so ließ ich mich nicht lange bitten und unterschrieb einen Haufen Papiere, die mir versprachen, dass meine Beerdigung zum unvergesslichen Event werden wird. Fast hätte ich die Frau gebeten, mir eine Eintrittskarte zu reservieren. Zum Glück fiel mir ein, dass ich bestimmt eine Freikarte bekomme.

Den Kugelschreiber durfte ich behalten. Darüber freute ich mich. Einen mit der Aufschrift Ewigkeit fehlte in meiner Sammlung. Doch leider schrieb der Kuli mit blauer Farbe. Lieber hätte ich einen Stift mit schwarzer Mine gehabt. Was soll´s. Man kann sich alles wünschen, aber nicht alles haben.

Nur wenige Meter von der jungen Frau stand ihre Mutter. Sie wartete auf die schwierigen Fälle, auf die Leute, die mit der letzten Feier den Achtundneunzigsten des Opas verbanden.
Die Frau konnte man nicht übersehen, sie war groß, schlank und unbeschreiblich blond. Von ihr wünschte man sich beerdigt zu werden. Allein das Vorspiel, das Waschen und Ankleiden, war ein Traum, für den es sich lohnte zu atmen. Ich musste die Frau die ganze Zeit anstarren, obwohl ich beim Ausfüllen der Formulare nur Augen für ihre Tochter hatte.

Apropos Traum. Ich schaute auf den Wecker, es war kurz vor halb sechs. In einer Woche würde ich um die Zeit aufstehen müssen. Das war lange hin, jetzt hatte ich Urlaub. Und jetzt gönnte ich mir noch eine Stunde. Ich klopfte mein Kissen zurecht und drehte mich zur Wand. Wollte ich nun von meiner Beerdigung oder weiter von den beiden Frauen träumen?



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